Rorate Caeli und Gaudete – Siehe, die Ankunft des Herrn ist nahe

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Ein kalter Samstagmorgen im Advent. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen und die Kirche erstrahlt nur von Nebel umgeben und mit Schnee bekleidet und durch die Fenster dringt nur flackernder Kerzenschein. In der Kirche angekommen, nimmt man ein paar Gläubige wahr, von jung bis alt, von verschlafen bis aufgeweckt – alle sind sie gekommen. Schon durchdringt ein Glöckchenschlag die Stille und der Priester zieht mit den Ministranten ein zum Altar. Er zieht ein durch eine Dunkelheit, die nur durch erwartende Augen und Kerzenschein gebrochen wird. In diese idyllische Stille ertönt nun durch die Schola das erhebende „Rorate Caeli“ – „Tauet, Himmel“.

Das ist der Anfang einer Roratemesse, die vielerorts im Advent gefeiert und von vielen Gläubigen hochgeschätzt wird. Man muss den Text dieses gregorianischen Gesangs auf Latein nicht zwingend verstehen, um von der besinnlichen Atmosphäre einer solchen Messe im Advent angezogen zu sein. Dennoch ist es äußerst wertvoll, sich mit den Hintergründen dieser Tradition auseinanderzusetzen.

Springen wir von der Roratemesse zu einer Sonntagsmesse im Advent. Der Priester trägt an diesem Sonntag rosa Messgewänder. Das ist eine Seltenheit, denn die liturgische Farbe rosa kommt nur zweimal im Kirchenjahr vor. Das wichtigste Wort dieser Messe, das im Messformular mehrfach wiederholt wird, ist Gaudete – Freuet Euch. Genau, die Rede ist vom Gaudete-Sonntag.

Rorate und Gaudete: Um diese zwei markanten katholischen Traditionen in der Adventszeit soll es nun gehen. Welche Bedeutung haben diese beiden besonderen Messformulare im Advent und was genau verbirgt sich dahinter?


Rorate, caeli, desuper, et nubes pluant iustum: aperiatur terra, et germinet Salvatorem.“: „Tauet, Himmel, von oben, ihr Wolken regnet den Gerechten! Es öffne sich die Erde und sprosse den Erlöser hervor“ (Ps. 18,2). So lautet der zu Beginn des Rorateamtes gesungene Text aus dem Buch des Propheten Jesaja, von dem in der Adventszeit öfters zu hören ist. Der gleiche Text mit der gleichen Melodie, nur gefolgt von einem anderen Psalm, ist auch am 4. Adventssonntag zu hören. Diese Worte drücken die tiefe, flehentliche Sehnsucht nach dem verheißenen Messias aus: Wie die Menschen in der Wüste dringend auf den Regen vom Himmel und die Früchte der Erde angewiesen sind, so ist die Menschheit seit jeher auf den Erlöser angewiesen. 

Etwas weiter ausgeschmückt wird dieser Gedanke in einem adventlichen Wechselgesang mit Jesaja-Zitaten und dem Kehrvers Rorate, der allerdings kein fester Bestandteil der Messe ist. Dort wird das Leiden des Volkes durch „Siehe, die heilige Stadt ist zur Wüste geworden, Jerusalem ist verödet“ ausgedrückt und die Sünden der Menschen beklagt und Gott wird angefleht „Das Lamm, den Beherrscher der Erde zu senden“.

Schließlich endet der Vers mit den Worten:

“Tröstet, tröstet, mein Volk!
Bald wird kommen dein Heil.
Warum verzehrst du dich in Trauer,
weil sich erneuert hat dein Schmerz?
Ich werde dich retten, fürchte dich nicht.
Denn Ich bin der Herr, dein Gott,
der Heilige Israels, dein Erlöser.“

Es wird also die Hoffnung auf die Ankunft unseres Erlösers besungen. Und ja, dies ist vor 2000 Jahren mit der Menschwerdung Gottes und der Geburt Jesu Christi Realität geworden. Aber ohne das Fiat einer bestimmten Person wäre dies so gar nicht erst möglich gewesen. Die Rede ist von Maria, der Mutter Jesu und unserer Mutter.

Der Vers „Tauet, Himmel …“ lässt sich sehr gut auf die vom Erzengel Gabriel verheißene Menschwerdung beziehen. Denn die fruchtbare Erde, die sich öffnen soll um den Erlöser hervorzubringen, ist ein mütterliches Bild, wo wir beim Kern der Roratemesse angelangt sind: Denn es wird vor allem die Gottesmutter im Advent betrachtet. „Roratemesse“ ist dabei kein liturgischer Fachbegriff, sondern nur die gebräuchliche Bezeichnung für die adventliche Votivmesse zu Ehren der Mutter Gottes, die üblicherweise an Adventssamstagen gefeiert wird und eben mit dem Rorate caeli im Introitus beginnt.

Der Brauch, den Samstag der Jungfrau Maria zu weihen, ist bereits im 8. Jahrhundert zu finden und die heutige Tradition der Roratemesse im Advent hat sich im Laufe des Mittelalters entwickelt. Weil in dieser Messe das Evangelium von der Verkündigung des Herrn durch den Erzengel Gabriel vorgetragen wird, wurde sie mitunter auch als „Engelamt“ bezeichnet. Der Brauch dieser Messe, teilweise vor dem ausgesetzten Allerheiligsten gefeiert, erfreute sich besonders beim Volk im deutschsprachigen Raum großer Beliebtheit. Ebenso gehören die Lieder „O Heiland, reiß die Himmel auf“ und „Tauet, Himmel, den Gerechten“, die sich auf den Introitus beziehen, wohl zu den beliebtesten katholischen Adventsliedern. Auch heute noch gehören hierzulande Roratemessen zum festen Bestandteil der meisten katholischen Pfarren im Advent. Auch wenn diese Messe häufig aus pragmatischen Gründen abends gefeiert werden, so passen sie immer noch am besten früh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang, gewissermaßen in Erwartung Christi, der aufgehenden Sonne.

Zu der tiefen Sehnsucht, die den Propheten „Rorate, caeli“ also Tauet ihr Himmel“ sprechen lässt, gesellt sich aber auch innige Freude, Vorfreude, die den Apostel Paulus sprechen lässt „Gaudete in Domino semper“ also: Freut euch im Herrn allezeit; wiederum sage ich: Freut Euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe! Sorgt Euch um nichts, sondern lasst in allem Gebet und Flehen mit Danksagung Eure Bitten kund werden vor Gott. Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, bewahre eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Phil 4,4–7).

Diese Zeilen hat Paulus im Gefängnis geschrieben! Selbst die Gefangenschaft und die Aussicht auf das anstehende Todesurteil unter Kaiser Nero (37–68 n. Chr.) in Rom konnte ihm die Freude im Herrn nicht nehmen. 

Dieser Abschnitt ist aus dem 4. Kapitel des Philipperbriefes und bildet die Epistellesung für den 3. Adventssonntag, auch bekannt als „Gaudete-Sonntag“. Statt Messgewändern in adventlichem Violett, die Farbe der Umkehr und Buße, trägt der Priester ein rosarotes Messgewand. Der Bußcharakter der Adventszeit wird also gewissermaßen durch die innige Vorfreude auf das Weihnachtsfest aufgehellt. 

Wenn wir uns das Evangelium dieses Sonntages anschauen, wird hier Johannes der Täufer vorgestellt. Ausgerechnet Johannes, dieser herbe Prophet, der mit scharfen Worten Buße und Umkehr gepredigt, Zeitgenossen als „Natterngezücht“ bezeichnet und in der Wüste äußert asketisch gelebt hat. Ist das nicht ein Widerspruch zum Gebot der Freude aus der Epistel?

Nein. Johannes war ein populärer und gesuchter Freudenspender, denn der Grund seines Handelns war ein freudenreicher: Der Herr ist nahe! Seine Aufgabe war es, dem Herrn und Heiland den Weg zu bereiten (Is 40,3). Zu dieser Vorbereitungsarbeit gehört auch Buße, damit „Alles, was krumm ist, ebener Weg werden kann“ (Lk 3,5). Und auch wenn das eine harte Aufgabe war, weil die Menschen nun einmal Genuss lieber haben als Umkehr und Buße, war es eine freudenvolle. Aber warum?

Zum einen war der Messias selbst die Freudenquelle Johannes des Täufers: Denn er durfte Dem dienen, der größer ist als er selbst und dessen Schuhriemen zu lösen er nicht würdig war (Joh 1,27), hat seine Pflichten treu erfüllt und so in diesem Dienst seine Erfüllung gefunden. 

Jeder von uns kennt doch das Gefühl der Freude, wenn man eine erfüllende Aufgabe hinter sich gebracht hat und weiß, dass es letztlich niemals glücklich macht, wenn man sich vor seinen Pflichten drückt, oder? 

Zum anderen hat auch gerade sein harter asketischer Lebensstil den Weg frei gemacht für tiefe geistige Freude. Wer nur vergängliche sinnliche Freuden, die ohnehin durch Krankheit, Tod und Leiden schnell zunichte gemacht werden können, genießen möchte, wird niemals sein wirkliches Glück finden. Vielleicht musste das der ein oder andere schon erleben. Gut, dass es nie zu spät zur Umkehr ist. Denn wahres Glück können wir, ob wir es wollen oder nicht, nur mit und in Gott finden.

Selbst in den nichtchristlichen Religionen oder in der modernen Esoterik kennt man die Wirkung der Askese. Man spricht dann z. B. vom „Weg zur inneren Mitte“. Das Zeugnis zahlreicher christlicher Heiligen, aber auch der vielen gewöhnlichen Menschen im geistlichen Stand, die ähnlich wie Paulus gerade durch den verzichtsvollen Lebensstil auch unter widrigsten Umständen Erfüllung finden und Freude ausstrahlen, spricht für sich.

Das schließt natürlich nicht aus, dass auch ein Christ weltliche Freuden verschiedenster Art ungezwungen genießen und sich im Herrn an Ihnen freuen kann. Jesus ist ja auch nicht allen weltlichen Freuden entflohen und war, wie man im Johannesevangelium nachlesen kann, Teil der Hochzeitsgesellschaft in Kana, wo er sogar sein erstes öffentliches Wunder wirkte: Die Verwandlung von 500 Litern Wasser in Wein Die hohe christliche Kunst ist es eben, sich im Herrn allezeit zu freuen. Paulus selbst schreibt im 4. Kapitel Philipperbrief weiter: „Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht; in Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. Alles vermag ich durch den, der mich stärkt. (Phil 4,12–13)“

Das Christentum ist eine Religion der Freude und nicht, wie damals schon oft behauptet wurde und wird, eine Religion der Verbote und des schwermütigen Ernstes. Die Adventszeit ist zwar wesentlich eine Zeit der Buße, die uns im Sinne des hl. Johannes dazu einlädt, alles, was bei uns krumm ist, zu begradigen, um in unserer Seele den Weg für die Ankunft des Herrn zu bereiten. Sie ist aber auch eine Zeit der Sehnsucht, wie es im Rorate caeli zum Ausdruck kommt. Erwecken auch wir in uns diese Sehnsucht nach den himmlischen Dingen. Sie ist und bleibt eine Zeit der Freude, nicht nur, weil wir uns einander bald mit Weihnachtsgeschenken gegenseitig Freude schenken, sondern vor allem weil der Heiland mit der Erlösungsgnade nahe ist, und wir uns aus der Gewissheit seiner Nähe „allezeit erfreuen können und uns um nichts sorgen müssen.“

In diesem Sinne, sortieren wir uns nochmals und halten wir uns das Wesen und die Wichtigkeit des Advents vor Augen. Den siehe, die Ankunft des Herrn ist nahe. Daher freuen wir uns und strahlen wir unsere innere Freude auf unsere Mitmenschen aus.