Am 11. November begeht die Kirche das Fest des heiligen Martins von Tours in Frankreich (ca. 316-397 n. Chr.). Dieser Heilige wird vermutlich den meisten von uns seit Kindestagen an, v.a. durch die alljährlichen St. Martins-Umzüge bekannt sein. Besonders eine Tat, welche auch oftmals bei den Martinsumzügen nachgespielt wird, dürfte dafür verantwortlich sein, dass auch heute noch der heilige Martin als Vorbild der Nächstenliebe und Barmherzigkeit gilt: Als junger Soldat erblickte Martin vor den Toren vor Amiens einen frierenden Bettler und schenkte ihm vor Mitleid gerührt einen Teil seines Mantels, welchen er zuvor mit dem Schwert in zwei Stücke zerteilt hatte. St. Martin beließ es freilich nicht bei diesem einzelnen Werk der Barmherzigkeit, sondern war Zeit seines Lebens um das Wohl der Armen und Kranken besorgt. Auch unser Heiliger Vater, Papst Franziskus, rühmte den heiligen Martin auf seinem Twitter-Account dafür, dass er „sich durch eine evangeliumsmäßige Nächstenliebe gegenüber den Armen und Ausgegrenzten hervortat.“ „Sein Vorbild“, so der Papst weiter, „lehre uns im Glauben immer mutiger und in der Nächstenliebe immer großherziger zu sein.“
Wenngleich das Werk der Barmherzigkeit vor den Toren von Amiens bereits Bände über die Liebe Martins zu seinem Nächsten spricht, so schwebten dem Papst sicherlich noch weitere große Taten aus dem Lebenswerk des hl. Martin von Tours vor Augen. Von diesem Lebenswerk werden wir jetzt mehr erfahren.
Will man das Leben Martins mit einem Bibelzitat beschreiben, dürfte sich dazu am geeignetsten ein Vers aus Psalm 69 herausstellen, jener nämlich, der im Johannesevangelium auf Christus angewandt wird, nachdem dieser die Verkäufer aus dem Tempel trieb: „Der Eifer für dein Haus verzehrte mich.“ (Ps 69,10)
Denn der heilige Martin war durch und durch ein Eiferer für unseren Herrn Jesus Christus, im positivsten Sinne dieses Wortes. Sulpicius Severus (363-425 n.Chr.), der Martin noch zu Lebzeiten kennenlernen durfte, schreibt in seiner ‚Vita sancti Martini‘über diesen Heiligen Gottes: „In seinem Munde war nichts als der Name Christi, in seinem Herzen nichts als Frömmigkeit, Friede und Barmherzigkeit.“1
Geboren wurde Martin als Sohn heidnischer Eltern um das Jahr 316 in der heutigen ungarischen Stadt Szombathely. Bis ins frühe Erwachsenenalter hinein ungetauft, sehnte er sich aber schon als Kind danach, unter die Katechumenen, die Taufbewerber aufgenommen zu werden. Allerdings musste Martin zunächst den Fußstapfen des Vaters folgen. Da dieser römischer Soldat war, musste auch Martin aufgrund eines kaiserlichen Ediktes, welches die Söhne von Veteranen zum Militärdienst zwang, als Fünfzehnjähriger den Fahneneid ablegen. Beinahe drei Jahre verbrachte Martin als Soldat, bevor er getauft wurde. In diese Zeit fällt auch das Ereignis vor den Toren von Amiens, wo Martin dem Bettler die Hälfte seines Mantels überließ.
Sein Biograph Sulpicius schreibt über diese Zeit unter den Soldaten: „Obwohl noch nicht in Christus wiedergeboren, zeigte er sich doch durch seine guten Werke sozusagen als ein Anwärter auf die Taufe: Er half den Kranken, unterstütze die Unglücklichen, nährte die Bedürftigen, bekleidete die Nackten und behielt von seinem Sold nur so viel für sich, als er für seine tägliche Nahrung brauchte.“2
Nach seiner Soldatenzeit begann Martin das Leben eines Einsiedlers. Allerdings war der Ruf seiner Heiligkeit so groß, dass viele Menschen ihn aufsuchten und ihn um Hilfe und sein Gebet baten, denn man hatte gehört, dass viele Wunder auf Martins Gebet hin geschahen. Als dann die Kirche von Tours einen neuen Bischof brauchte, war sich das Volk schnell einig, wer ihr neuer Bischof werden sollte: Martin. Die große Einigkeit des Volkes musste allerdings ein Hindernis überwinden, denn der Auserwählte streubte sich, die große Würde anzunehmen und verbarg sich in seiner Einsiedlerzelle. So sah sich das Volk, dem Bericht von Sulpicius Severus zufolge, zu einer List gezwungen. Ein gewisser Rusticus gab an, dass seine Ehefrau krank danieder lag. Er bat Martin, er möge doch kommen und seine kranke Frau heilen. So erreichte er, dass Martin „seine Zelle verließ. Schon standen auf dem Wege die Bürgerscharen bereit, und so wurde er gleichsam unter Bewachung in die Stadt geleitet.“ Martin fügte sich und wurde der neue Bischof von Tours. „Unverändert blieb er [aber] der, der er vorher war: Es blieb die Demut seines Herzens, es blieb die Armseligkeit seiner Kleider; bei aller Autorität und Huld, bei aller bischöflichen Würde gab er doch die Vorsätze und Tugenden des mönchischen Lebens nicht auf.“3
Um diese mönchischen Tugenden auch weiter üben zu können, errichtete er etwa drei Kilometer außerhalb der Stadt Tours ein Kloster. Das Vorbild des heiligen Martin leuchtete dabei so hell, dass zahlreiche Männer ihr bisheriges Leben aufgaben und sich dem hl. Martin anschlossen, um dem Christkönig im Ordenstand nachzufolgen. Etwa 80 Männer zählte dieses Kloster zu Martins Lebzeiten. Auch wenn Martin viele Reisen durch seine Diözese und darüber hinaus unternahm, sollte dieses Kloster fortan bis zu seinem Tod seine irdische Heimstätte bleiben.
Wenn wir auf das Leben des heiligen Martin blicken, dann ist dieses durchzogen von vielen Wundern, sogar von Totenerweckungen. So kam der heilige Martinus eines Tages zu einer Behausung, von der lautes Jammern und Wehklagen zu hören war. Ein Sklave des Hauses hatte sich durch den Strick das Leben genommen. Als Martin dies hörte, „betrat er die Kammer, worin der Leichnam lag, hieß die Menge hinausgehen, legte sich auf den Leichnam und betete eine Zeit lang. Bald belebte sich das Antlitz des Toten, und mit schläfrigen Augen sah er dem Martinus ins Gesicht;“4 er war durch das Gebet des heiligen Martin von den Toten erweckt worden.
Obgleich verschiedener Wunder, war doch das Größte, was von Martin von Tours berichtet werden kann, seine große Liebe zur Wahrheit bzw. zu dem, welcher von sich selbst sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Joh 14,6) Daraus folgt, dass seine größte Sorge dem Heil der Seelen galt. Und um die Seelen zum Heil zu führen, bemühte sich Martinus rege, einerseits den Glauben in die Herzen der Menschen einzupflanzen; andererseits aber auch den verderblichen Irrtum aus ihnen zu vertreiben. Denn was nützt es, wenn man auf wundersame Weise einen Kranken von seinen Leiden befreit, ihn aber aus falscher Toleranz in seinem Irrtum belässt, sodass dieser seines ewigen Heils verlustig geht? Besser wäre es für ihn, nach den Worten des Heilands selbst, „verstümmelt oder hinkend in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen oder zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden“ (Mt 18, 8).
Eine Begebenheit mag für diese Wahrheitsliebe Martins Zeugnis ablegen: Wie Sulpicius berichtet, wurde Martin eines Tages gebeten, das Haus des Prokonsuls Tätradius aufzusuchen, um dessen Sklaven von seiner dämonischen Besessenheit zu befreien. „Martinus aber weigerte sich und erklärte, er könne das Haus eines Profanen, eines Heiden nicht betreten; denn Tätradius war damals noch von der Irrlehre des Heidentums befangen. Da gelobte dieser, Christ zu werden, sobald der Dämon aus seinem Sklaven vertrieben sei. Alsdann legte Martinus dem Sklaven seine Hände auf und trieb den unreinen Geist von ihm aus. Als Tätradius das sah, glaubte er an den Herrn Jesus: Er wurde sofort unter die Katechumenen aufgenommen und nicht lange danach getauft[.]“5
Im Eifer für Christus zerstörte Martin des Öfteren auch die Tempel der heidnischen Götzen. „Am häufigsten aber geschah es, dass Martinus die heidnischen Seelen der Bauern, die sich der Zerstörung ihrer Tempel widersetzten, durch seine heilige Predigt so sehr besänftigte, dass sie, vom Lichte der Wahrheit erleuchtet, ihre Tempel selber zerstörten.“6
Man wird sich daher nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, wenn man behauptet, dass unser Heiliger beim interreligiösen Weltgebetstreffen in Assisi im Jahre 1986 wohl nicht teilgenommen hätte. Ebenso hätten heute in Mode gekommene Pachamama Darstellungen unter ihm sicherlich keine große Halbwertszeit gehabt.
Martin starb hochbetagt während einer Missionsreise. Die ganze Stadt Tours eilte dem Leichnam ihres Bischofs entgegen, um diesen heimzuholen und beizusetzen. Der Biograph Sulpicius schreibt darüber: „Heilige Hymnen singend, geleitete die Menge den Leichnam des seligen Mannes zur Begräbnisstätte. Man vergleiche damit, wenn man will, nicht etwa Leichenbegängnisse, nein, die Triumphzüge der Welt: Können sie sich messen mit dem Leichenzug des Martinus?“7
Wer gerne mehr über den heiligen Martin erfahren möchte, dem sei insbesondere der Lebensbericht von Sulpicius Severus ans Herz gelegt. Ein Link dazu findet sich in der Bildbeschreibung.
Hl. Martin von Tours – Bitte für uns!
- Vita sancti Martini, Kapitel 27, in: Drumm, Joachim, Martin von Tours. Ein Lebensbericht von Sulpicius Severus, Kevelaer 2018, 85.
- Vita sancti Martini, Kapitel 2, hier S. 26-27.
- Vita sancti Martini, Kapitel 10, hier S. 46.
- Vita sancti Martini, Kapitel 8, hier S. 42.
- Vita sancti Martini, Kapitel 17, hier S. 60.
- Vita sancti Martini, Kapitel 15, hier S. 57.
- Aus einem Brief des Sulpicius Severus an seine Schwiegermutter Bassula, zitiert nach: Drumm, Joachim (Hg.), Martin von Tours. Ein Lebensbericht von Sulpicius Severus, 94.